Vertrauen, Veränderung - und ein langer Atem

 

Ein Gespräch mit dem Präsidenten der Evangelischen Hochschule Darmstadt, Prof. Dr. Uwe Becker und dem Rektor der CVJM-Hochschule Kassel, Prof. Tobias Faix, DTh, über Visionen, Herausforderungen und die Entstehung der neuen Evangelischen Hochschule Hessen (EHH).

Seit rund zwei Jahren treffen sich die beiden Hochschulleitungen regelmäßig. Wie würden Sie diese Gespräche beschreiben?
Faix: Von Anfang an waren die Gespräche geprägt von Wertschätzung, Offenheit und einer gemeinsamen Vision. Was zunächst als vorsichtige Sondierung begann, wurde schnell ein ernsthafter Prozess – getragen vom gemeinsamen Wunsch, interdisziplinäre, profilierte, praxisnahe und zukunftsfähige Hochschulbildung im Kontext einer evangelischen Bildungstradition zu gestalten. Besonders beeindruckend war, wie rasch wir über Stärken, Profile und Herausforderungen ins Gespräch kamen – und dabei viele Übereinstimmungen,
aber auch komplementäre Ergänzungen entdeckt haben.
Becker: Wir merken aber immer wieder, wie wichtig es ist, einander unsere jeweiligen Hochschulkontexte transparent zu machen und zu erzählen, wie die andere Organisation funktioniert.

 

Das klingt nach viel Einigkeit – aber sicher gab es auch kritische Momente?
Faix: Es gab natürlich auch Reibungspunkte – strukturelle Fragen, kulturelle Unterschiede, die Standortfrage. Aber gerade in diesen Phasen zeigte sich, wie tragfähig der Prozess ist:  dank klarer Absprachen, gegenseitigem Vertrauen und der gemeinsamen Überzeugung, dass die Neugründung ein mutiger und richtiger Schritt ist. Herausfordernd wurde es immer dann, wenn die eigene Identität oder organisationale DNA nicht ausreichend berücksichtigt wurde – bzw. es sich so anfühlte. Wir haben es mit zwei sehr unterschiedlichen „Tribes“ zu tun, die zusammenfinden müssen. Das wird uns gelingen, auch wenn es beide Seiten Kraft kostet.
Becker: Eine große Herausforderung war lange Zeit auch die Überzeugungsarbeit gegenüber den Trägern der zukünftigen EHH, also den beiden Landeskirchen und beim CVJM. Wir mussten deutlich machen, dass eine gemeinsame Hochschule nicht nur möglich, sondern zukunftsweisend ist. Besonders entscheidend war es, das Land Hessen zu gewinnen. Inzwischen sind wir sehr froh, dass die Ausarbeitung eines Staats-Kirchen-Vertrages offensichtlich auf dem Weg ist.

 

Seit Mai hat der Prozess spürbar an Dynamik gewonnen. Was beschäftigt Sie aktuell besonders?
Becker:
Ganz vorn steht die gemeinsame Ausarbeitung der Grundordnung, also der neuen Satzung. Wir hoffen, diesen Prozess bis Ende September abschließen zu können. Parallel dazu klären wir viele Details zum Betriebsübergang. Besonders emotional ist das Thema Standort Schwalmstadt-Treysa. Ich kann nachvollziehen, dass der Umzug dorthin für
viele mit Sorgen und Fragen verbunden ist. Aber ich bin überzeugt, dass wir dort einen bundesweit attraktiven Campus mit moderner Infrastruktur und tollen Wohnmöglichkeiten schaffen werden.
Faix: Daneben arbeiten wir gerade an den Übergangsphasen – wie bringen wir zwei etablierte Hochschulen in eine neue Form? Dazu gehört der Übergang von Studiengängen, Instituten und Mitarbeitenden. Wir begleiten die Studierenden eng, entwickeln neue Lehrformate, planen den baulichen Ausbau, das neue Corporate Design und den öffentlichen
Auftritt.

 

Aktuell warten wir noch auf die Entscheidung des Landes. Wie geht es nach diesem (letzten?) wichtigen Meilenstein auf dem Weg zu einer neuen gemeinsamen EHH weiter?
Becker:
Hier muss man unterscheiden: Was noch aussteht, ist die parlamentarische Befassung und Beschlusslage bezüglich des Staats-Kirchen-Vertrags, der gerade ausgearbeitet wird. Das kann noch einige Monate dauern. Aber das Ministerium und die Koalitionsrunde stehen hinter dem Projekt. Fokus liegt nun auf der internen Kulturentwicklung.
Faix: Wenn – und davon gehen wir aus – das Land zustimmt, wird die neue Evangelische Hochschule Hessen Anfang 2026 offiziell gegründet. Dann beginnt eine Übergangszeit bis 2028 in zwei Phasen: Zunächst bleiben wir bis 2027 in Kassel, bevor wir in der zweiten Phase nach Schwalmstadt-Treysa umziehen. Wir planen dort 3er und 5er WGs mit Einzelzimmern in neuen nachhaltigen Neubauten. Das wird eine immense Verbesserung für unsere Studierenden, bei aller Trauer, dass wir uns aus Kassel verabschieden werden. In all diesen Übergangsphasen werden wir Stück für Stück zusammenwachsen, neue Strukturen aufbauen und gemeinsam Hochschulkultur gestalten.

 

Okay, ein Umzug nach Treysa für Studierenden aus Kassel – das ist eine große Veränderung. Was wird sich für Studierende noch ändern – und was bleibt?
Faix:
Es wird beides geben. (lacht) Vieles wird neu – Name, Struktur, Campus. Aber in den Übergangsphasen bleibt vieles vertraut: Studiengänge, Lehrende, geistliche Angebote, Unterstützungsformate und die Idee des gemeinsamen Lebens und Lernens. Gleichzeitig kommen eine neue gemeinsame Kultur der Vielfalt, internationale Kooperationen, neue Formate und ein Abschmelzen der Studiengebühren hinzu. Die Studierenden können sich also auf eine Weiterentwicklung in Kontinuität freuen – und sie werden diesen Prozess aktiv mitgestalten.
Becker: Im Mittelpunkt stehen weiterhin die Studierenden. Es bleibt unser Ziel, attraktive Lehre und eine an den Bedarfen der Studierenden orientierte Hochschulkultur zu bieten. Ich glaube, es wird sich gar nicht so viel grundlegend ändern – und wenn doch, dann im Sinne gegenseitiger Bereicherung.


Apropos Bereicherung: Was gewinnt denn jede der beiden Hochschulen durch die Neugründung?
Becker:
Wir gewinnen alle. Die EHD kann den Standort im ländlichen Raum stärken und insbesondere den gemeindepädagogischen Studiengang weiter profilieren. Und nicht zuletzt hat das Land die finanzielle Unterstützung deutlich erhöht – weil wir gemeinsam etwas Neues schaffen. So haben wir zwei Hochschulen, die finanziell zu kämpfen hatten, in eine neue Hochschule überführt, die eine gesicherte finanzielle Basis hat. So können wir kreativ in die Zukunft schauen.
Faix: Aus meiner Sicht gewinnt die EHD ein evangelisches Partnerprofil mit starker CVJM-Tradition, viel Erfahrung in gemeindepädagogischer und sozialräumlicher Arbeit und eine gelebte Spiritualität. Außerdem bringt die CVJM-Hochschule tolle Onlinestudiengänge, einen innovativen Master in Transformationsstudien, eine agile Organisationsstruktur und ein engagiertes Kollegium mit. Die CVJM-Hochschule wiederum profitiert von mehr Vielfalt, Internationalität, neuen Studiengängen und einer besseren Finanzierung. Gemeinsam entsteht eine evangelische Hochschule mit Strahlkraft – für Kirche, Gesellschaft und die kommenden Generationen.

 

Eine Hochschule neu zu gründen ist eine super komplexe Sache: Aus zwei funktionierenden Systemen soll ein gemeinsames werden. Aus zwei bzw. drei Kulturen soll eine werden. Aus drei Standorten sollen zwei werden. Aus zwei Kollegien soll ein Team werden. Wie gehen Sie diese Aufgabe an?
Becker:
Für mich steht die menschliche Begegnung im Mittelpunkt. Ich erlebe, wie Kolleg*innen beider Hochschulen aktiv aufeinander zugehen. Das hilft, Vorurteile abzubauen – denn am Anfang wurde viel übereinander gesprochen, aber wenig miteinander. Ich freue mich darauf, wenn wir ab dem 1.1.2026 endlich eine Hochschule sind, in der wir immer mehr einüben als Gemeinschaft kollegial zusammenzuarbeiten und mit einer Vielfalt, die als Stärke erlebt wird.
Faix: Mit Respekt, Geduld und einer klaren Vision für eine SAGE+ Hochschule. Transformation braucht Zeit, deshalb gestalten wir sie partizipativ, bauen auf den Stärken beider Hochschulen auf und begleiten den Wandel mit Coaching, Kommunikation und gemeinsamen Formaten. Wir leben gerade das, was wir sonst lehren: Transformation als geistlichen, kulturellen und strukturellen Prozess.

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