Der große Fachtag zur empirica Sexualitätsstudie

 

AM 04.10.2025 FAND IN KASSEL DER FACHTAG "GLAUBE UND SEXUALITÄT" ZUR EMPIRICA-SEXUALITÄTSSTUDIE STATT. EIN TAG VOLLER ZUM TEIL ÜBERRASCHENDER ERGEBNISSE, ANGEREGTER DEBATTEN UND MUTIGER VERÄNDERUNGSBEREITSCHAFT

„Sexualität bestimmt nicht unseren Glauben.“ Mit diesem klaren Statement eröffnete Dr. Christian Brenner, Geschäftsführer der Stiftung Christlicher Medien, die Vorstellung einer der bisher größten Studien zu Sexualität und Christentum in Deutschland, die in Kooperation mit der SCM zwischen 2022 und 2025 realisiert wurde. 

Hansjörg Kopp, Generalsekretär des CVJM Deutschland, der den Fachtag mitfinanzierte, griff das Thema mit einem Wortspiel auf, indem er über verschiedene Wörter mit drei Buchstaben nachdachte: „Zum Beispiel gut: Wir haben die Chance und Verantwortung, neu und gut über Sex zu sprechen.“ Ebenso kurz sei das Wort „Mut“ – und genau diesen hätten die Forschenden bewiesen, indem sie sich einem lange verdrängten Thema stellten. 

Prof. Tobias Faix, DTh. (UNISA), Rektor der CVJM-Hochschule und Leiter des Instituts empirica, sprach von einer „spannenden Forschungsreise“, die das Team in den vergangenen Jahren unternommen habe. „Wir mussten viele Widerstände überwinden. Aber wir wollten gemeinsam, fragend, frei und nicht wertend hinschauen: Wie sieht die Wirklichkeit eigentlich aus?“ Sein besonderer Dank galt den beiden Hauptverantwortlichen der Studie: Prof. Dr. Tobias Künkler, der „viel Sachlichkeit, Engagement und Herz“ in die Arbeit gesteckt habe, und Prof. Dr. Daniel Wegner, der den qualitativen Teil leitete und mit großer Ausdauer und Einfühlungsvernögen Interviews führte und die Diskursanalyse verantwortete.

Drei Beiräte, drei Zugänge, drei Grundverständnisse

Die Studie wurde von drei Beiräten begleitet: einem wissenschaftlichen Beirat, einem Gremium aus Vertreter*innen von Gemeinden und aus der Beratungspraxis sowie einem Leitungsgremium mit Personen aus unterschiedlichen Denominationen.Und sie besteht aus drei Teilstudien, die jeweils einen Aspekt des Themas beleuchten: 

  1. Diskursanalyse: Wie wird über Sexualität gesprochen – und was bleibt ungesagt? Analysiert wurden dabei vor allem pietistisch-evangelikale Medien (SCM) sowie evangelisch-liberale Instagram-Posts.
  2. Qualitative Interviews: In Sprachnachrichten schilderten Christ*innen persönliche Spannungen und Dilemmata im Umgang mit Sexualität. Am Ende konnten Muster und Strategien sichtbar gemacht werden.
  3. Quantitative Befragung: Eine online durchgeführte Stichprobe mit über 10.600 Befragten die zeigte, dass das Thema vor allem Menschen ansprach, die jünger, weiblicher, queerer, gebildeter und religiöser sind als der bundesdeutsche Durchschnitt.

Dabei zeigten die Ergebnisse der Diskursanalyse drei Grundverständnisse von Sexualität: Während die einen einem eher restriktiven Modell anhängen, das Sexualität primär als Risiko oder Gefahr - vor allem außerhalb der Ehe - betrachtet und Frauen eine erhebliche Mitverantwortung für die sexuelle Reinheit von Männern zuschreibt, verfolgen andere einen eher pädagogisch-therapeutischen Ansatz, der Sexualität in der Ehe als entwickelbar und positiv beschreibt und die Gleichberechtigung von Lust und sexueller Ausdrucksfähigkeit betont. In den sozialen Medien, die untersucht wurden, konnte ein aktivistisch-aufklärerisches Verständnis von Sexualität identifiziert werden. Hier gilt Sex als frei, vielfältig und teilweise sogar als gesellschaftskritisch. Traditionelle Rollenmuster sowie die Geschlechterbinarität werden infrage gestellt. Daraus ergibt sich ein breites Spektrum: Ein Viertel der Befragten vertritt eine konservative Sexualethik, ein Drittel ordnet sich moderat konservativ ein, ein weiteres Viertel ist liberal, und das restliche Viertel bewegt sich dazwischen.

Spannungen zwischen Glaube und Sexualität

Die Studie zeigt: Glaube und sexuelles Verhalten existieren oft in einem Spannungsfeld. Christ*innen haben zwar in Partnerschaften mehr Sex als der bundesdeutsche Durchschnitt, doch christliche Singles deutlich weniger. Christ*innen sind nicht prüder und nicht homogener als andere – so ein weiteres Ergebnis der Studie. Gleichzeitig leben viele entgegen ihrer eigenen sexualethischen Überzeugungen, was besonders bei Themen wie Masturbation, Homosexualität oder Pornografie Schuldgefühle verstärkt.

„Richtiges sexuelles Verhalten wird als Identitätsmarker für ‚richtiges‘ Christsein genutzt“, erklärte Jennifer Paulus, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Studie bei der Präsentation der Ergebnisse. Über Sexualität werde in konservativen Kreisen viel gesprochen – aber eher quantitäts- als qualitätsorientiert. In Familien dagegen herrsche oft Sprachlosigkeit: Die meisten Befragten gaben an, dass zuhause kaum über Sexualität gesprochen wurde – außer mit dem Hinweis, keinen Sex vor der Ehe zu haben.

Diese einseitige Kommunikation auf der einen Seite und die Sprachlosigkeit auf der anderen Seite biete einen Nährboden für sexualisierte Gewalt, so die Wissenschaftler*innen der CVJM-Hochschule, die zudem häufig nicht hinreichend oder gar nicht aufgearbeitet würde. „Sexualisierte Gewalt ist eine Gesamtaufgabe aller Kirchen und Gemeinden, unabhängig von Konfession und Denomination!“, betonte Faix. 

Die Untersuchung zeigt auch, dass queere Christ*innen in kirchlichen Kontexten besonders häufig Ausgrenzung und sexualisierte Gewalt erfahren – etwa durch Ausschlüsse aus Leitungsfunktionen oder subtile Formen von Diskriminierung. „Unabhängig von der theologischen Haltung haben wir als Christ:innen die Aufgabe, niemanden auszugrenzen“, so Faix zum Ende der Präsentation.

Raum für Austausch und Aufarbeitung

Beim sich anschließenden Mittagessen sowie an den Stationen zu verschiedenen Themen (wie u.a. Purity Culture, Paarsexualität, sexuelle Gewalt, Solosex, Vertiefung der Studienergebnisse oder sexuelle Vielfalt & Gender) rissen die Gespräche nicht ab. Damit erfüllte sich bereits auf dem Fachtag eine Hoffnung, die die Forschenden mit der Studie hegten: Sie wollen zu Gesprächen anregen. Wollen dabei helfen, Raume zu eröffnen, in denen Menschen sich verletzlich zeigen können, ohne die Angst zu haben, verletzt zu werden. Safe Spaces, in denen man über Sexualität offen und frei sprechen könne - ohne Angst, Kontrolle oder Macht. Gesprächsorte, an denen man gemeinsam eine neue, zeitgemäße Sexualethik schaffen könne. 

Dieses Anliegen wurde auch in der abschließenden Podiumsdiskussion deutlich. Christ*innen bräuchten den Mut, die körper- und sexualitätsfeindliche Haltung der Vergangenheit zu reflektieren und aufzuarbeiten. Es bräuchte den Mut, sich auch der Aufarbeitung der sexuellen Gewalt zu stellen und sich aktiv für deren Prävention einzusetzen. 

 

Die Studienergebnisse können Interessierte in dem unten stehenden Forschungsbericht bzw. in der Zusammenfassung oder in unserer Pressemeldung nachlesen. Des Weiteren lohnt sich ein Blick in die Bücher, die zur Studie im R. Brockhaus Verlag erschienen sind und sich an ein breites Publikum richten: 

 

Die Forschungsergebnisse

Sie sind neugierig geworden? Sie wollen wissen, ob und inwiefern der Glaube Christ*innen hinischtlich ihrer sexuellen Einstellungen und ihrer Sexualität prägt? 

Dann werfen Sie doch einen Blick in den Forschungsbericht zur empirica Sexualitätsstudie. Oder in die Zusammenfassung des Forschungsberichts. 

SIe können sowohl den kompletten Forschungsbericht als auch die Zusammenfassung als PDF-Dokument hier herunterladen.  


Die Bücher zur Studie

Zum Fachtag erscheinen auch zwei allgemeinverständliche Bücher zur Studie: 

Unsere Geschichte mit Sex. Einblicke in laute Debatten und leise Lebensgeschichten. Qualitative Ergebnisse der empirica Sexualitätsstudie“, von Daniel Wegner, Jennifer Paulus, Leonie Preck und Tobias Künkler, 256 Seiten, 25 Euro 

Sexualität und Glaube. Prägungen, Einstellungen und Lebensweisen. Quantitative Ergebnisse der empirica Sexualitätsstudie“, von Tobias Künkler, Tabea Peters, Ramona Wanie und Tobias Faix, 256 Seiten, 27 Euro. 

Beide Bücher sind im R. Brockhaus Verlag erschienen. 

 

 

 

Wir sind dankbar, dass wir die Studie und vor allem den Fachtag mit starken Kooperationspartnern an unserer Seite durchführen können. 

 

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